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Archivale 02/2009 - Briefe aus der DDR aus dem November 1989 (Stadtarchiv Ratzeburg Bestand III Nr. 2024 (3 Bände))

Am 9. November 1989 fiel durch die friedliche Revolution in der DDR die Berliner Mauer. Kurz darauf wurden auch zwischen dem Kreis Herzogtum Lauenburg und dem benachbarten Mecklenburg die Grenzübergänge geöffnet. Tausende fuhren am 12. November 1989 nach Mustin, um dort die Grenzöffnung mitzuerleben. In den folgenden Tagen gingen im Ratzeburger Rathaus zahlreiche Briefe von Besucherinnen und Besuchern aus der DDR ein, die ihre Erlebnisse und Empfindungen an diesem bedeutungsvollen Tag schildern. Den meisten Briefschreibern war es ein besonderes Anliegen, Ihre Dankbarkeit für die herzliche, meist sogar begeisterte Aufnahme in Ratzeburg zum Ausdruck zu bringen. Diese Briefe, die ganz persönliche Zeugnisse eines gerade auch für die Stadt Ratzeburg historischen Moments sind, wurden zusammen mit vielen Anfragen, Kontaktwünschen und Angeboten, die in den folgenden Monaten aus der DDR eintrafen, im damaligen Amt für Fremdenverkehr und Kultur beantwortet und gesammelt. Sie sind heute im Stadtarchiv zugänglich.

 

Heiligendamm, den 12.11.89 20:00 Uhr

Werte Ratzeburger!

Noch immer unter dem großen Eindruck unserer heutigen, kurzen Tagesreise, möchten wir uns als Familie bei Ihnen, stellvertretend für alle Bürger, herzlichst bedanken. Der Empfang in Ihrer Stadt war für uns wirklich überwältigend. Zum ersten Mal hatten wir Kontakt mit Bürgern der BRD. Aber Ihre Fürsorge und Ihr Entgegenkommen waren so sensationell, dass wir heute Abend, zu Hause angekommen, unseren Dank nochmals für alle Hilfen ausdrücken möchten.

Für all Ihre Mitarbeiter war es sicherlich ein anstrengender Sonntag, der aber sicherlich durch unsere strahlenden Gesichter ein bisschen verschönert wurde. Uns hat alles sehr gut gefallen und wir sind noch immer beeindruckt. Sollten diese politischen Neuerungen ein Anfang für weitere bürgernahe Veränderungen sein, das wünschen wir uns und Ihnen aus vollem Herzen.

Herzlichen Dank

Familie S.“  


 „Güstrow, 13.11.1989

Lieber Herr Bürgermeister von Ratzeburg!

Ich möchte Ihnen einmal einen Brief schreiben und ich hoffe sehr, dass Sie meine Gefühle dafür verstehen können. Ich lebe mit meinem Mann und meinen 3 Kindern in der Barlach-Stadt Güstrow. Wir leben gut und es geht uns gut und wir haben weder die Absicht weg zu gehen, noch werden wir es tun.

Aber was wir am Sonntag in Ihrer Stadt erlebten, das hat uns sehr beeindruckt und tief berührt. Als wir den Grenzübergang „Mustin“ nach langen Stunden des Wartens endlich passiert hatten, da wussten wir gar nicht, wie uns geschah. So viele Menschen, die uns die Hände drückten, die uns Geschenke gaben, die uns bewirteten und uns Glückwünsche aussprachen. Es hat uns alles sehr erschüttert, die Tränen von so vielen Menschen, Tränen der Freude und Tränen der Erleichterung, dass wir das erleben können.

Wir sind erst 38 Jahre und 35 Jahre alt. Als sich die Grenzen schlossen, waren wir noch Kinder und begriffen nicht, was uns das alles bringen sollte. Nun sind wir sehr froh, dass man das von unserer Seite änderte, und wir hoffen für uns alle, dass es so bleibt.

Mit diesem Brief möchten wir uns bei allen Bürgern Ihrer Stadt bedanken, die uns so nett empfangen haben und uns so geholfen haben. Dank an alle, die uns und unsern Kindern dies möglich machten.

Wir kommen gerne wieder, denn mit dem Auto ist es für uns eine kurze Strecke. Wir möchten noch viel sehen von Ihrer schönen Stadt und auch das Barlach-Grab besuchen. Wir freuen uns auf einen neuen Besuch in Ratzeburg. Vielleicht ist es auch einmal möglich etwas zu tun, dass man über das Wochenende bleiben kann, denn dann hätte man auch etwas mehr Zeit, alles zu sehen.

Vielen Dank an Sie und an die Bürger von Ratzeburg, dass man sich solche Mühe gab.

Monika W.“


„Plate, den 13.11.89

Hallo liebe Einwohner von Ratzeburg!

Viele liebe Grüße aus Plate im Kreis Schwerin sendet Euch allen Familie St.. Nachdem wir gestern voller Freude im Radio die Nachricht hörten, dass der Grenzübergang Mustin Ratzeburg wiedereröffnet wurde, entschlossen wir uns ganz spontan Euch zu besuchen. Nach dem Motto ‚Halli Hallo heute fahren wir nach Ratzeburg und nicht in den Schweriner Zoo’.

Leider dauerte es vier Stunden, bis wir die Grenze passieren konnten. Aber ich habe 36 Jahre gewartet, um Euch und Euer Land kennen zu lernen. Was sind da schon vier Stunden? ‚Null Problemo’.

Außerdem war der Empfang so herzlich, freundlich und nett, dass ich diese beeindruckenden Szenen schon am Grenzübergang wohl mein Leben lang nicht vergessen werde. Und auch in Ratzeburg in der Innenstadt. Ein großes Bild der Freude. So viele nette, freundliche Menschen und so viel wirkliche, von Herzen kommende Freude über unser Kommen. Wahnsinn, wir können es noch nicht fassen.

Ich schreibe Euch einfach, um mich bei allen, die uns an diesem Abend so lieb und herzlich empfangen haben, ganz lieb zu bedanken.

Etwas anderes können wir im Moment nicht, als Danke sagen. Es ist so schön, dass wir endlich aus unserem Käfig ein bisschen in die Welt fliegen können. In der Hoffnung, dass es nicht unser letzter Besuch bei Euch war, sagen wir auf Wiedersehen. Das nächste Mal kommen wir am Tage, damit wir etwas mehr von Eurer sicherlich schönen Stadt sehen können. [...]

Nun seid alle nochmals recht lieb gegrüßt von einer glücklichen Besucherin Eurer Stadt und auf ein Wiedersehen.

Marlies St., Plate“


Güstrow, d. 13.11.1989

Liebe Stadt Ratzeburg!

Gestern kamen wir gegen 16.00 Uhr zum ersten Mal in Ihre Stadt. Wir sind noch immer gerührt und tief bewegt von dem überaus herzlichen Empfang am Grenzübergang sowie in der Stadt Ratzeburg selbst.

Es ist ein ungeheuer schönes Gefühl die FREIHEIT mit eigenen Händen und Füßen zu berühren. Wir sind Ihnen, liebe Ratzeburger Bürger dankbar, denn auch durch Ihre Hilfe und Unterstützung wird dieser Tag ein unvergessener Tag für uns bleiben. [...]

Vielen Dank und herzliche Grüße aus Mecklenburg

Von Manfred und Bärbel S.“


  

 „Schwerin, 15.11.1989

[...] Dieser 12. November 1989 wird uns wohl lebenslang im Gedächtnis bleiben. Es war der erste Besuch in der Bundesrepublik seit dem Mauerbau und – ganz ehrlich gesagt – wir fuhren mit gemischten Gefühlen über die Grenze. Aber was wir dann erlebten, ist einfach nicht zu glauben., wenn man nicht selbst dabei war.  Soviel Begeisterung, soviel Gastfreundschaft, soviel Gespräche und aufmunternde Worte, soviel herzliche Umarmungen mit Menschen, die man nicht kannte – wir haben uns der Tränen auf offener Straße nicht geschämt, und wir hoffen auch, dass sich die ramponierten Blümchen für die freundliche Dame am Postschalter noch erholt haben. Wir haben uns die Frage gestellt: Wären wir zu so einer Handlungsweise auch fähig gewesen? Nun, so eindeutig konnte das nicht beantwortet werden. [...]

Ja, es war ein historischer Tag – und wir sind glücklich darüber, dabei gewesen zu sein! Klar ist uns, dass es so nicht immer sein wird und kann, aber dieser Tag bleibt für uns unvergesslich, weil er bewiesen hat, dass trotz Hektik, Egoismus, Neid, Überheblichkeit und Herzlosigkeit in unserer Zeit die wertvollen menschlichen Gefühle noch nicht verschüttet sind. [...] In dem wir Ihnen allen, die zum Gelingen dieses Tages beigetragen haben, nochmals ganz herzlich ‚Dankeschön’ sagen, verbleiben wir mit freundlichem Gruß

Hans und Marianne S.


„Werte Angestellte des Rathauses Ratzeburg

der Abt. Begrüßungsgeld für DDR Bürger,

der Freiwilligen Feuerwehr und der Bürger von Ratzeburg! 

Ich möchte mich im Namen meiner ganzen Familie für den wunderschönen Empfang in Ihrer Stadt bedanken. Wir waren überrascht, mit welch einer herzlichen Begrüßung und Anteilnahme wir von allen aufgenommen wurden. Wir werden diesen Tag in Ihrer schönen Stadt nicht vergessen. Ich kann nicht alle aufzählen, die uns diesen Tag so zu einem Erlebnis bereitet haben. Unser großer Dank geht an alle Ratzeburger. [...]

Mit freundlichen Grüßen und einem Dankeschön

Familie A.“  [Brief eingegangen am 16.11. 1989]


„Güstrow, den 16.11.1989

An die lieben Bürger der Stadt Ratzeburg und Umgebung!

Ich möchte meinem Herzen einmal Luft machen. Was wir am 12.11.1989 beim ersten Grenzübergang erlebten, möchte ich weitergeben, es war ein Erlebnis! Fünf Stunden haben mein Mann und ich gewartet, bis die Grenzsperren weggerissen und die Straße in der Sperrzone befahrbar gemacht wurde. Dann rollte unser Trabi über die Grenze. Tief gerührt sahen wir die vielen, vielen Menschen an der Straße. Nur ein Winken, Klatschen, ein Händedrücken durchs Fenster und immer wieder ertönten die Rufe „herzlich willkommen“. Kinder reichten uns heißen Tee, Erwachsene Schokolade und Obstdosen ins Auto. Es war so ergreifend, dass ich mich nicht beherrschen konnte und meinen Tränen freien Lauf ließ.

Bei der Einfahrt nach Ratzeburg reichte man uns Schmalzstullen und Wein. Im Kaufhaus gab es Kaffee, Kuchen und Schmalzstullen. Bei einem Bäcker auch Kaffee und Brötchen. Ich möchte mich nun bei der Stadt Ratzeburg und bei den vielen, vielen Menschen an der Straße bis zur Grenze recht, recht herzlich bedanken. Diesen Empfang werde ich in meinem Leben nicht vergessen! Bitte geben Sie unser ‚Dankeschön’ weiter.

Mit freundlichen Grüßen

Frau Hildegard B., Güstrow“  


„Güstrow, 6. Dezember 1989

Werte Freunde!

Erlaubt mir einige Dankesworte an Euch zu richten. Am 2. Dezember 1989 durften wir Eure schöne, saubere Stadt besichtigen. Wir kamen in der Mittagszeit bei Euch an. Unsere Zeitungen berichteten, dass sonnabends und sonntags das ‚Begrüßungsgeld’ nicht mehr dargereicht wird. Diese Meldung bezog sich besonders auf den Bereich Bayern. Ob [es] im Bereich Lübeck auch so gehandhabt wird, war [...] unbestimmt. Wir fuhren dennoch los. Schon zwischen Gadebusch und Ratzeburg kam es zu einer Fahrtstockung. 2 ½ Stunden hielt uns ein Stau auf. Erst in Eurem Herzogtum Lauenburg ging es flott weiter. Mein Sohn nebst Schwiegertochter brachten uns im Wartburg nach Ratzeburg. Erleichtert erfuhren wir, dass im Rathaus das Begrüßungsgeld zu erhalten ist.

Nun kam die Überraschung: Wir brauchten nicht lange anstehen. An mehreren Tischen wurden wir bedient. Das Arbeitsteam machte keine Arbeitspause – auch in der Mittagszeit! Freundlich und recht kinderlieb im Umgang und dann noch ohne Nervosität, ja sogar opferbereit. – Der Herr mit einer versehrten Hand wirkte besonders wohlwollend, direkt brüderlich. Dem Herrn sei Lob und Dank, dass es noch in dieser Zeit solche Volksgenossen gibt, die mit Nächstenliebe dem Mann aus dem Volke dienen. – Dann muss man es Euch hoch anerkennen, dass Land und Leute durch Brüderlichkeit und Opfer uns nicht nur erfreuen, sondern uns direkt beschämen und zum Dank verpflichten. Ich kann so den Dank abtragen, dass ich unsern Herrgott bitten werde um das Gelingen unserer gemeinsamen Sache – ein geeintes Vaterland mit vielen guten Menschen, das unter Gottes Segen blüht und gedeiht!

Wünsche gute Gesundheit und Gottes Segen!

Benno N., Güstrow“