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Archivalen 2011

Archivale 02/2011 - Die St.-Hubertus-Kirche in der Fischerstraße

Am Sonntag, dem 9. Januar 2011, feierte die katholische Kirchengemeinde mit einem Festgottesdienst, zu dem auch Erzbischof Dr. Werner Thissen nach Ratzeburg gekommen war, ein besonderes Jubiläum. 

Hundert Jahre zuvor, am 6. Januar 1911, war die alte St.-Hubertus-Kirche, Vorgängerin des heutigen Kirchenbaus, in der Fischerstraße geweiht worden.

Nach der Reformation im Herzogtum Lauenburg gab es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine katholische Gemeinde in Ratzeburg. Erst 1907 wurde die "Missionspfarrei" Ratzeburg neu gegründet. Schwerpunkt der seelsorgerlichen Arbeit war die Betreuung der katholischen Soldaten der Ratzeburger Garnison und der polnischen Saisonarbeiter auf den Gütern der Umgebung. Für die neu errichtete Kirche wählte man den Namen des Heiligen Hubertus, des Patrons der Jäger, weil viele Mitglieder der Gemeinde dem Lauenburgischen Jäger-Bataillon Nr. 9 angehörten. Mit dem Bau der neuen Kirche war im Frühjahr 1910 begonnen worden („Lauenburgische Zeitung“ vom 23. April 1910). 

Zur Einweihung  berichtete die „Lauenburgische Zeitung“ (Ausgabe vom 7. Januar 1911): 

Die Einweihung der neuen katholischen Kirche fand heute unter Anteilnahme der Spitzen der Behörden statt. Herr Pastor Windus zelebrierte unter Assistenz der Herren Pastor Kranz-Oldesloe und Zur-Schwerin ein feierliches Levitenamt, wozu der Lübecker Kirchenchor die liturgischen Gesänge vortrug. Die Kirchenlieder wurden von dem Musikkorps des Jägerbataillons begleitet, die Festpredigt hielt Herr Pastor Köster-Lübeck im Anschluss an das Evangelium von der Anbetung der heilig. drei Könige. Von nah und fern waren die Mitglieder der katholischen Gemeinde herbeigereist, sodass das Gotteshaus von Andächtigen überfüllt war. Möge das neue Gotteshaus dazu beitragen, den treuen Glauben an Gott, den Dreieinigen, unseren katholischen Mitbürgern zu bewahren und ihnen den Segen der christlichen Religion zu erhalten.“ 

Wenige Tage vorher war folgende Meldung in der Zeitung zu lesen (Ausgabe vom 29. Dezember 1910): 

„Das katholische Pfarrhaus in der Fischerstraße, eines der ältesten Gebäude unserer Stadt, wird zur Zeit abgebrochen. Ursprünglich war es dänisches Eigentum, und zwar befand sich in dem Hause die dänische Hauptkasse. Die älteren Einwohner unseres Ortes erinnern sich noch sehr wohl des militärischen Doppelpostens, der zum Schutze der Kasse Tag und Nacht vor dem Hause patrouillierte Später befand sich in dem Gebäude die Höhere Töchterschule, bis es im Jahre 1907 in den Besitz der katholischen Gemeinde gelangte. – Die neue Kirche mit dem Pfarrhause liegt hinter dem alten Gebäude und wird sich nach Abbruch des Hauses als ein in das Landschaftsbild vorzüglich passendes Bauwerk präsentieren. Die Pläne und Zeichnungen dazu sind von Herrn Architekten Goergens entworfen, die Ausführung des Baues wurde Herrn Maurermeister Rautenberg übertragen. Auch die übrigen Arbeiten sind bis auf die Dekorationsmalerei von hiesigen Meistern besorgt worden […]“ 

1973 musste die St.-Hubertus-Kirche, die zahlreiche bauliche und räumliche Mängel aufwies, einem achteckigen Neubau mit Gemeindezentrum und Pfarrhaus weichen. Die neue Kirche, die den Namen St. Answer nach dem Ratzeburger Märtyrer Ansverus erhielt, wurde am 1. Dezember 1973 durch Bischof Dr. Wittler geweiht. Wir zeigen in diesem Monat Bilder des früheren Kirchenbaus. 

Auch der Ratzeburger Maler Karl Pechascheck, dem eine Ausstellung gewidmet ist, die am 25. Februar 2011 im Ratssaal eröffnet wird, hat sich die alte katholische Kirche mehrfach als Motiv gewählt. Weitere Bilder Pechaschecks aus dem alten Ratzeburg stellen wir im kommenden Monat an dieser Stelle vor.

Die Pfarrei St. Answer und ihr Patron
Chronik von 1000 bis 2010 >>

Archivale 03/2011 - Karl Pechascheck - „Ein alter Ratzeburger malt Alt-Ratzeburg“

„Lächeln ist das Kleingeld des Glücks!“ – Diesen Ausspruch Heinz Rühmanns hat sich Karl Pechascheck zum Lebensmotto gewählt und es ist ihm in den Jahrzehnten seines Wirkens als Theatermann immer wieder gelungen, seinen Zuschauern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.   


Es dürfte kaum einen älteren Ratzeburger geben, dem Karl Pechascheck nicht bekannt ist. Wenn von Ratzeburger Originalen die Rede ist, dann darf sein Name mit Sicherheit nicht fehlen. Allerdings sind es weniger die Bilder, die wir Ihnen heute präsentieren, als vielmehr seine Puppenbühne, mit der er sich weit über die Grenzen der Stadt und des Kreises hinaus einen Namen gemacht hat. 

Karl Pechascheck wurde am 5. März 1894 als Sohn des Tischlers Robert Heinrich Karl Pechascheck und seiner Frau Marie Dorothea Catharine, geb. Steffen in Ratzeburg geboren. Karl Pechascheck lernte zunächst das Malerhandwerk. Er fühlte sich aber schon in jungen Jahren zur Schauspielerei hingezogen und wirkte in vielen Rollen als Statist am Lübecker Stadttheater mit. Auch im Ersten Weltkrieg hat er im „Front-Theater“ selbst auf der Bühne gestanden. 

Die Faszination für das Puppenspiel ergriff ihn im Jahr 1929 bei einem Gastspiel der berühmten „Hohnsteiner". Pechaschecks Debüt war „Dr. Faustens Höllenfahrt“, ein Stück, das einen festen Platz in seinem Repertoire erhielt. Mit zahlreichen anderen, meist selbst verfassten Stücken reiste der Puppenspieler in Deutschland herum.  Im Zweiten Weltkrieg war Karl Pechascheck in der Truppenbetreuung eingesetzt.

Nach dem Krieg stellte die Landespolizei Schleswig-Holstein seinen Kasper in den Dienst der Verkehrserziehung. Hardy Krüger, Hans Häckermann und Siegfried Munz haben bei Pechascheck erste Theatererfahrungen gesammelt. 


 
Am 2. Dezember 1974 gab Pechascheck in Kiel zum 45-jährigen Jubiläum seiner Puppenbühne eine Jubiläumsvorstellung, die gleichzeitig seine Abschiedsvorstellung war – die Geschichte des Dr. Faust, die am Anfang seiner Laufbahn gestanden hatte, bildete nun auch den Abschluss. 

Karl Pechascheck hat sich darüber hinaus auch als Hobby-Stadthistoriker betätigt und Eindrücke, Geschichten sowie Gespräche mit Ratzeburger Persönlichkeiten auf Tonband aufgenommen. Das Archiv der Stadt Ratzeburg besitzt einen Fundus von 7 Bändern mit über 7 Stunden Aufnahmen, die auch in digtalisierter Form vorliegen. Darunter befinden sich regelrechte Schätze, wie einige vertonte Bühnenstücke, die zum Teil auch auf plattdeutsch gesprochen sind. Sie können diese Aufnahmen in Kürze in der Stadtbibliothek auf DVD ausleihen.

Karl Pechschek

Karl Pechascheck beschreibt den Ratzeburger Marktplatz (Teil 1)

Karl Pechschek

Karl Pechascheck beschreibt den Ratzeburger Marktplatz (Teil 2

Erst in den späten Lebensjahren widmete sich der Puppenspieler seiner zweiten großen Leidenschaft, der Malerei. Anfang der 1960er begann der Autodidakt, der in seiner Jugend viel gezeichnet hatte,  Bilder seiner Heimatstadt zu malen. Nur zum Teil entstanden die Gemälde in der freien Natur, vieles malte Pechascheck aus dem Gedächtnis zu Hause. Auch historische Stadtansichten nahm er sich zum Vorbild und malte sie nach.


Im Oktober 1977 eröffnete die Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg in der Eingangshalle ihres Ratzeburger Hauptgebäudes eine große Ausstellung, die ausschließlich den Alt-Ratzeburger Stadtansichten Pechaschecks gewidmet war.

Pechascheck hat auf diesen Bildern zahlreiche idyllische Winkel der Inselstadt festgehalten, die der Stadtsanierung der sechziger und siebziger Jahre zum Opfer fielen, um Platz für Neues zu schaffen.


Der überwiegende Teil der Bilder, die damals gezeigt wurden, war Eigentum der Kreissparkasse. Besonders der damalige Direktor der Kreissparkasse, Walter Dohrn, den Pechascheck als „Mäzen“ bezeichnete, hatte sich um den Ankauf der Bilder bemüht. 

Pechascheck malte hauptsächlich in Öl. Den Wert seiner Bilder schätzte selbstkritisch mit einem Zitat von Joachim Ringelnatz so ein: 

„Ich werde nicht enden zu sagen: Meine Bilder sind schlecht. Ich werde Gedanken tragen als Knecht. Ich werde sie niemals meistern. Und doch nicht ruhn. Soll mich der Wunsch begeistern, es besser zu tun.“


Es ist nicht so sehr der künstlerische Wert, der seine Bilder auszeichnet, sondern der liebevolle Blick auf „sein“ Ratzeburg. Seine Bilder halten die Erinnerung an ein Stück Heimat wach, dass es so nicht mehr gibt. Diejenigen, die diese Erinnerung teilen, werden sich glücklich schätzen, Karl Pechaschecks Bilder in dieser Ausstellung wiedersehen zu können. Wir sehen etliche Häuser in der Fischerstraße, die alte katholische Kirche oder das Haus des Glasers Krohn in der Kurzen Straße.
 



Weitere Bilder sind hier in einer Diashow zusammengestellt.
(bitte aufrufen)

Pechascheck, der zuletzt in der Rathausstraße wohnte, starb am 9. April 1978 kurz nach Vollendung seines 84. Geburtstages  in seiner Heimatstadt. Viele zeigten sich von dem plötzlichen Tod des „Seniors der Puppenspieler“ überrascht, war ihm doch seine geistige und körperliche Vitalität bis zum Schluss erhalten geblieben. 

ARCHIV_PECHASCHECK
(bitte aufrufen)

Nach seinem Tode wurden einige seiner Freunde gebeten, den Verstorbenen in einigen kurzen Sätzen zu charakterisieren. 

Adolf Tredup: „Er war ein künstelnder Mensch, dem es leider in der Jugend an der nötigen Ausbildung gefehlt hat. Als Puppenspieler war er ja weit über die Grenzen Ratzeburgs bekannt. Karl war ein netter Kerl, aber mit Vorsicht zu genießen. Er war etwas selbstherrlich und führte gern das Wort, ließ andere dann kaum zu Wort kommen. Ein herzensguter Kerl mit vielen guten und auch manchen schlechten Seiten. Das letzte Ratzeburger Original.“ 

Pastor Gleimann: "Karl war ein Liebhaber des Lebens. Er hat es verstanden, das Leben von der guten Seite zu nehmen und die schlechten Seiten zu überspielen. Er hat sich immer gerühmt, im Krieg keinen einzigen scharfen Schuss abgegeben zu haben. Karl war sehr kritisch anderen gegenüber, aber Kritik an der eigenen Person konnte er nicht vertragen. Im Krieg verstand er es, Leute humorvoll zu karikieren. Karl Pechascheck war ein liebenswürdiger Mensch, aber mit Kanten. Ein handwerklich geschickter Mann mit einem ausgeprägten Gedächtnis […] Von seinen Freunden wurde er auch ‚Kasperscheck’ gerufen." 

H.E. Wohlfahrt: "Ein Mensch mit immer aktiven Ideen, er steckte förmlich voller Ideen. Karl war ein unbequemer Mensch. Obwohl er immer wieder seine Abschiedsvorstellung gab, war es nie die letzte, so sprühte er vor Vitalität und Ideen. Karl Pechascheck bestand nur aus positiver Kritik. Er war ein „Kauz“."

Die Kreissparkasse hat die Sammlung der Pechascheck-Bilder im vergangenen Jahr dem Archiv der Stadt Ratzeburg überlassen. Dieses großzügige Geschenk nimmt die Stadt Ratzeburg nun zum Anlass, die Bilder von Karl Pechscheck erstmalig seit mehr als 30 Jahren im Rahmen einer kleinen Ausstellung öffentlich zu präsentieren. "Pechaschecks Bilder sind insbesondere in stadtgeschichtlicher Hinsicht ein kleiner Schatz", freut sich Stadtarchivar Christian Lopau über diesen unerwarteten Zugang in sein Archiv. "Vor allem bilden sie auch eine hervorragende, historische Brücke zum Jahresthema unseres digitalen Stadtgedächtnisses den 'Ratzeburger Baugeschichten' ". 

Die Ausstellung wird am 25. Februrar 2011, um 15:00 Uhr im Ratssaal der Stadt Ratzeburg mit einem Vortrag von Christian Lopau eröffnet und läuft bis zum 25. März 2011 während der allgemeinen Öffnungszeiten des Rathauses. 

Archivale 04/2011 - Auf den Spuren der Ratzeburger Kleinbahn

Die alte Ratzeburger Kleinbahn ist ein prägendes Element im Ratzeburger Stadtbild und weit darüber hinaus. Auch wenn sie nur für rund 30 Jahre betrieben wurde, hat ihre einstige Streckenführung deutliche Spuren hinterlassen, wie der Kleinbahndamm zwischen Stadt - und Küchensee oder der tiefe Einschnitt am Krankenhausberg zeigen. Sie ist ein Sinnbild dafür, wie umfassend und nachhaltig das Industriezeitalter die Landschaft und Gesellschaft in kurzer Zeit verändern hat und gibt bis heute Zeugnis von dem damaligen Fortschritts- und Technikglauben eine Industriekultur, die mit viel Energie bewegen und schaffen wollte. 
  



Die Ratzeburger Kleinbahn auf einen allgemeinen Bebauungsplan von 1911

 

Anlässlich der Tage der Industriekultur am Wasser, an denen sich vom 19.08. - 21.08.2011 81 Industriedenkmäler und Museen zur Industriegeschichte  in der gesamten Metropolregion Hamburg der Öffentlichkeit in einer Zusammenschau präsentieren, soll auch die Ratzeburger Kleinbahn mit dem 500 Meter langen Damm und der denkmalgeschützen "Kamelbrücke" aus dem Jahre 1908 noch einmal in den Fokus genommen werden. Stadtarchivar Christian Lopau lädt dazu am 20.08.2011 um 10 Uhr zu einer Erkundungstour per Fahrrad und wird an 15 Stationen die alte Bahnstrecke erläutern. Diese Spurensuche soll in diesem Monat auch Gegenstand der Archivale des Monats sein und damit auch der breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, auf eigene Faust der geschichtlichen Strecke nachzuspüren. Dazu wurde der vorliegende Text auch als downloadfähiges PDF zusammengefasst und kann bei Bedarf als kleiner Stationenführer mitgenommen werden. 

Auf den Spuren der Ratzeburger Kleinbahn (PDF) >>

Station 1: Der Ratzeburger Bahnhof („Ratzeburg – Land“) 

Als 1851 die Lübeck-Büchener Eisenbahn eröffnet wurde, lag der Ratzeburger Bahnhof weit außerhalb der Stadt auf dem Gebiet der Domäne Neuvorwerk. Die Leistungsfähigkeit der Lokomotiven war begrenzt, sodass beim Bau der Eisenbahnstrecken  starke Steigungen und Krümmungen vermieden wurden. Ein Bahnhof, der näher an der Insel gelegen hätte, wäre mit einem zu hohen Investitionsaufwand verbunden gewesen. Auch beim Bau der „Kaiserbahn“ von Berlin über Hagenow-Land und Neumünster nach Kiel im Jahr 1897 erhielt Ratzeburg keinen näher an der Stadt gelegenen Bahnhof. Die Ratzeburger fürchteten die Konkurrenz der Möllner, die ihnen was die Verkehrsanbindung betraf, soviel begünstigter erschienen. Auch Schmilau als Verladebahnhof für landwirtschaftliche Produkte schien Ratzeburg den Rang abzulaufen. So blieb der Wunsch einer Eisenbahnverbindung zwischen dem Bahnhof und dem Stadtzentrum, der sich schließlich nur als örtlich finanzierte Kleinbahn erfüllen ließ. Der amtliche Begriff Kleinbahn ist keinesfalls gleichbedeutend mit Schmalspurbahn. Die meisten Kleinbahnen waren durchaus normal in Spurweite und  Profil, um somit den direkten Durchlauf von Güterwagen zu ermöglichen. ‚Klein’ im engeren Sinne waren nur die Anforderungen: Das 1892 geschaffene Kleinbahngesetz gestattete extreme Sparsamkeit bei der Trassierung und Betriebsführung.“ (Hagemann) Der Weg zur Kleinbahn war lang. Einen Fürsprecher fanden die Ratzeburger im damaligen Landrat, der 1895 in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten hervorhob:Das Interesse des Staates an dem Bau der Zweigbahn liegt zunächst darin, eine Stadt, deren Bevölkerung sich stets durch hervorragende Loyalität ausgezeichnet hat, vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren.“ Angesichts der hohen Investitionskosten und der damit verbundenen finanziellen Belastung der Stadt, erhob sich allerdings auch Opposition innerhalb Ratzeburg. So äußerten sich der Verein gewerbetreibender Bürger und der Verein der Vorstädter Bürger sehr kritisch zum Bahnprojekt.Auch die Sorge wegen einer „Verunstaltung“ Ratzeburgs durch die Kleinbahn wird in einigen ablehnenden Äußerungen deutlich. So schrieb der Landrat 1901, nachdem man die geplante Strecke mit Pfählen abgesteckt hatte:Erst hierdurch wurde der Allgemeinheit klar, welche in schönheitlicher Beziehung geradezu verheerende Wirkung der längs des Lüneburger Dammes geplante Bahndamm ausüben würde, und es erhob sich ein so starker Sturm der Entrüstung, auch in dem Kreise alter Befürworter des Projekts, dass sich ohne Weiteres die Notwendigkeit einer anderen Linienführung ergab.“ 

Am Startkapital der Ratzeburger Kleinbahn AG war der Preußische Staat mit Aktion im Wert von 292.000 Mark beteiligt – das war die Hälfte des Kapitals von 590.000 Mark.  

Im Juni 1903 wurde die Strecke zwischen dem Bahnhof Ratzeburg-Land und dem Stadtbahnhof auf der Insel in Betrieb genommen. Die wirtschaftlichen Erwartungen erfüllte die Ratzeburger Kleinbahn nicht. Schon Ende der 1920er Jahre war die Personenbeförderung mit Omnibussen günstiger. 1933 wurde der Personenverkehr der Ratzeburger Kleinbahn eingestellt, ab 1934 ruhte auch der Güterverkehr. (Zimmermann, S. 83-87 zu den Betriebsergebnissen der Kleinbahn)

Station 2:

Die Züge verließen den Bahnhof in Richtung Norden. Nach einer langgezogenen Rechtskurve wurde die Linie durch einen tiefen Einschnitt geführt (nördlich der Lauenburgischen Gelehrtenschule).

 

Station 3:

Nach dem Verlassen des Einschnitts kreuzte die Strecke die Lübecker Straße. Es gab die Vorschrift, hier intensiv zu läuten und zu pfeifen. Außerdem mussten die Züge anfangs auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst werden. Auf einem Damm, der heute als Rad- und Wanderweg genutzt wird, ging die Fahrt in südöstlicher Richtung weiter, bis die Strecke am Abhang der Bahnhofallee entlang führte.

 

Station 4:

Ein Stück hinter der Einmündung der Möllner Straße in den Lüneburger Damm (B 208) befand sich der Haltepunkt St. Georgsberg. Wenig später querte die Strecke den Lüneburger Damm. 

Station 5:

Um die Strecke am Südufer des Küchensees weiterführen zu können, musste eine Brücke über den Durchfluss zwischen den Seen (Gr. Ratzeburger See und Küchensee) geschlagen und ein eigener Bahndamm aufgeschüttet werden. So entstand der kleine Schwanenteich. Die Brücke wurde im Frühjahr 2009 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. 

Station 6:

Direkt am Südufer des Küchensees, am heutigen Theaterplatz befand sich der Ratzeburger Stadtbahnhof. Der heutige „Seegarten“ wurde als repräsentatives Empfangsgebäudes errichtet. Die Wetterfahne des Gebäudes erinnert bis heute an die frühere Funktion.

 

Die früheren Nebengebäude direkt am Küchensee (Lokschuppen, Güterabfertigung und Wagenhalle) existieren heute nicht mehr. Die vom Stadtbahnhof zum Marktplatz führende Straße hieß bis 1933 Bahnhofstraße (heute: Schrangenstraße). 

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Station 7:

Schon bei der Eröffnung der Strecke bestand der Wunsch nach Verlängerung der Kleinbahnlinie in Richtung Osten, um im Idealfall eine Verbindung zu den benachbarten mecklenburgischen Städten zu erhalten. Die Strecke konnte 1908 eröffnet werden. 

Für den Weiterbau war die aufwändige Anlage eines Dammes durch den hier 20 Meter tiefen Küchensee (mit einer Brücke als Durchlass für Boote) und Herstellung eines weiteren tiefen Einschnitts (unterhalb des heutigen DRK-Krankenhauses) notwendig. Das Material zur Aufschüttung des Damms wurde zu einem großen Teil aus dem neu angelegten Einschnitt gewonnen.

 

 

Dammschüttung durch den Küchensee (LZ 26. Juni 1906)
Foto: Kreismuseum

Der Bau der Verlängerung bis Klein Thurow, das damals noch lauenburgisch war, wurde durch diese Baumaßnahme 1,3 Mio. Mark teuer!

Station 8: Brücke unterhalb des Krankenhauses („Kamelbrücke“) 

 

Am Ostufer des Küchensees trifft die Bahnstrecke auf eine schlanke Brücke, wegen ihrer Form Kamelbrücke genannt. Das 1908 in Betrieb genommene Bauwerk ist eine seltene Konstruktion aus der Frühzeit des Eisenbetons. Es diente als Fußgängerbrücke über der Trasse der Ratzeburger Kleinbahn, ist aber schon lange ohne Funktion. Sie misst 28,71 Meter.

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Böschung und Sohle des Kleinbahneinschnitts zwischen der Krankenhausbrücke und der Brücke an der Seedorfer Straße waren in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an eine Firma verpachtet, die diese Fläche zum Anbau von Korbweiden nutzte. Da diese Nutzung nicht rentabel war, entschloss sich die Stadt zu einer Aufforstung. 

Station 9:

Der Weg, den die Kleinbahnstrecke beschrieb, ist heute noch an der Bebauungsgrenze der Stadt Ratzeburg abzulesen. Vom Bahnhof Dermin sind heute keine Reste geblieben. Er hat sich etwa im Bereich der Stettiner Straße befunden. 

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Station 10: Zweigbahn zum Schaalseekanal

Vom Bahnhof Dermin zweigte eine Stichbahn zum Schaalseekanal ab, der 1926 fertig gestellt worden war. Als „Privatanschlussbahn“ der Lauenburgischen Landeskraftwerke AG (Laula) war die 2,8 Kilometer lange Strecke als Zubringer für die Schaalseeschifffahrt gedacht.

Sie „verlief auf einem knappen Kilometer etwa parallel zur Straße Dermin-Salem, dort allerdings im hundert Meter Abstand über den Acker, bevor sie straßenkreuzend der Trasse eines Feldwegs folgte. Der Endbahnhof lag parallel zum Schaalseekanal, nicht weit von der Ortschaft Schmilau entfernt.“ 

Station 11:

Nicht immer eindeutig auszumachen ist der Streckenverlauf  im heute bebauten Teil der Vorstadt. Nachdem die Kleinbahn die Schweriner Straße gekreuzt hatte, führte sie im Verlauf des heutigen Tannenwegs zur Ziethener Straße bzw. auf den Ziethener Mühlenweg zu.

Lauenburgische Zeitung 3.11.1949

Der Tannenweg, die 1943 nach der Hamburger Bombenkatastrophe auf dem ehemaligen Gelände der 1935 abgebrochenen, nach Mustin führenden Kleinbahn entstandene und damals scherzhaft Neu-Hamburg genannte Holz-Behelfsheimsiedlung, hat mittlerweile große ‚Geschwister’ und dadurch unmittelbar Tuchfühlung mit der Ziethener Straße bekommen.“ 

Station 12:

Im damals mecklenburgischen Ziethen gab es einen weiteren Haltepunkt. Das Bahnhofsgebäude ist bis heute erhalten geblieben.

 

 

Station 13:

Von Ziethen führte die Strecke in nordöstlicher Richtung bis ca. 800 Meter südlich von Wietingsbek. Ein Teil der Trasse ist heute überpflügt, ein Teil aber als landwirtschaftlicher Weg noch erkennbar. Südlich des Lankower Sees verläuft der heutige Reit- und Forstweg auf der Kleinbahntrasse.

Am Haltepunkt „Chausseehaus Mustin“ traf die Kleinbahnstrecke wieder auf die nach Schwerin führende Chaussee. Weiter verlief die Strecke bis zur Endstation in Klein Thurow direkt neben der Chaussee, der heutigen Bundesstraße 208, zum Teil links, zum Teil rechts der Straße.

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In Mustin (Station 14) und in Groß Thurow gab es Bahnhöfe der Kleinbahn.  


Ratzeburger Kleinbahnzug auf dem Weg nach Klein Thurow
Foto: Kreismuseum Ratzeburg


Endbahnhof in Groß Thurow
Foto: Kreismuseum


Das Bahnhofsgebäude in Klein Thurow ist heute noch unverkennbar.

Literatur:
Gert Hagemann: „Kleinbahn-Retrospektive am Beispiel Ratzeburgs“
Hamburger Blätter für alle Freunde der Eisenbahn
47. Jahrgang Heft 5-8 (2000)

Hansjörg Zimmermann: Die Ratzeburger Kleinbahn, in: Beiträge zur Geschichte Ratzeburgs 2. Teil, Lübeck 1973, S. 60-89. 


Berichte in der Lauenburgischen Zeitung
 

Vom Bahnbau. Der Bau unserer Stadtbahn hat begonnen. Das Fuchsholz wird fast in seiner ganzen Ausdehnung bereits von der Feldbahn, auf der die Erdmassen befördert werden, durchschnitten und an dem Lauf derselben kann man schon jetzt die Linienführung der späteren Bahn erkennen. Hier und dort finden sich im Gehölz tiefe Grubenlöcher, von den Bodenuntersuchungen herrührend. Beim Austritt aus dem Walde kreuzt die Bahn bei der Eggert’schen Baumschule die Lübecker Chaussee, um dann immer hart am Seeufer entlang laufend, zur Stadt zu führen. Auch hier, wo die Holzbestände bereits vor längerer Zeit gefällt sind, ist die Bahn ausgesteckt und Eisenbahn-Schienen und Schwellen liegen zum Bau bereit. Beim Chausseeübergang erheben sich bereits Lagerschuppen, Wellblechbaracken und Kantine, auch ist hier der Lagerplatz für allerlei Arbeitsgerät, das noch täglich mit der Eisenbahn eintrifft. Zwei kleine Arbeitslokomotiven und zahlreiche Kippwagen wurden in den letzten Tagen zur Arbeitsstelle geschafft, auf der bereits rund 100 Arbeiter beschäftigt werden. Die Erdarbeiten sind seitens der bauausführenden Firma Lenz dem Unternehmer Stenzel in Hamburg übertragen worden.

- Das Fischer H. Clasen’sche Haus mit Garten ging für 12,000 Mk. In den Besitz der Stadt über. Das Haus wird abgebrochen, um die Schrangenstraße in gerader Linie bis zum Bahnhofsgebäude der Stadtbahn verlängern zu können. Das Abbruchmaterial verbleibt dem Verkäufer.“ (8. April 1902) 

Vom Bahnbau. Der Bau unserer Stadtbahn hat in der letzten Zeit erhebliche Fortschritte gemacht. Mit den Erd- und Planierungsarbeiten ist man jetzt schon bis an den Lüneburger Damm unweit der Brücke gelangt, so dass die Strecke vom Bahnhof bis hierher so ziemlich fertiggestellt ist. Vor einigen Tagen wurde nun mit der Aufschüttung des Bahndammes, der durch den kleinen Ratzeburger See führt, begonnen. Das ist, wie sich jetzt schon herausgestellt hat, mit den größten Schwierigkeiten und immensem Arbeitsaufwand verbunden und wohl der schlimmste Punkt des ganzen Unternehmens. Unausgesetzt werden zur Ausfüllung des Seegrundes von zwei Arbeitszügen ungeheure Erdmassen, die aus dem Durchstich des Fuchsholzes genommen werden, ins Wasser geschafft. Infolge des eingetretenen Regens -  dazu kommen noch einige stattgefundene Dammbrüche – werden die Arbeiten sehr erschwert und gehen nur langsam vonstatten. Um Unglücksfällen vorzubeugen, sind über den Lüneburger Damm, der ja jetzt von den Arbeitswagen auf dem Wege vom Fuchsholz nach dem See passiert werden muß, auch zwei Schlagbäume geschlagen werden [sic!]“ (24. Juli 1902) 

Eisenbahn Ratzeburg-Carlow. Die Firma Lenz und Comp. hat mit der Spezialvermessung der Bahnlinie vom hiesigen Stadtbahnhof nach Gr. Thurow und Carlow begonnen, was sicher die Weiterführung unserer Stadtbahn bedeutet.“ (14. Mai 1903) 

Von der Stadtbahn. Gutem Vernehmen nach findet die landespolizeiliche Abnahme der Ratzeburger Stadtbahn am 24. d. Mts. statt.“ (9. Juni 1903) 

Veröffentlichung des Fahrplans der Ratzeburger Stadtbahn. „Danach verkehren täglich 24 (Sonntags 26) Züge zwischen der Stadt und dem Staatsbahnhofe, womit dem gegenwärtigen Verkehrbedürfnisse entsprochen sein dürfte.“ (27. Juni 1903) 

Die Eröffnung unserer Kleinbahn.

Anlässlich der Einweihung der Ratzeburger Kleinbahn würdigte der Landrat von Bülow die herausragenden Verdienste des Beigeordneten Spehr um das Zustandekommen der Bahn: „Der Herr Regierungs-Präsident habe denn auch einmal die Bahn in Anerkennung der Verdienste ihres Schöpfers „Spehrbahn“ genannt. Leider sei es nicht üblich, die Eisenbahnen nach den um ihre Entstehung verdienten Männern zu nennen und so schlage er vor, der neben dem Eisenbahndamm entlangführenden Strandpromenade den Namen Spehrsweg zu geben, um so den Namen des eifrigsten Förderers der Ratzeburger Kleinbahn zu ehren und dauernd zu erhalten.“ (30. Juni 1903)

Zeittafel 

1894, 5. September                 Bittgesuch Ratzeburger Gewerbetreibender wegen einer Nebenbahn für Ratzeburg

1894, 12. Dezember                Ablehnung des Gesuchs mit dem Hinweis, es komme nur eine privat betriebene Kleinbahn in Frage

1897, 13. Januar                      Kreisausschuss stimmt der kostenlosen Hergabe des benötigten Terrains zu

1899, 1. Mai                             Die Städtischen Kollegien nehmen das Angebot der Fa. Lenz an

1901, 23. Februar                   Klarstellung, dass die Linie nach Mecklenburg weitergeführt werden sollte

1901, 19: April / 10. Mai         Vertrag der Stadt mit der Fa. Lenz & Co., Berlin

1901, 16. September              Genehmigung der Weiterführung bis Thurow

1902, März                               Verhandlungen über die genaue Linienführung in der Stadt und Gründung der Kleinbahn AG

1902, 8. Dezember                 Verabschiedung des Gesellschaftsvertrages

1902, April                                Beginn des Bahnbaus

1903, 26. Juni                          Landespolizeiliche Abnahme der Bahn und Eröffnungsfeier 

1903, August                           Kostenvoranschlag für die Verlängerung des Bahn nach Thurow

1906, März                               Baubeginn für die Verlängerung

1907, Mitte November            Fertigstellung des Damms durch den Küchensee

1908, 12. Juni                          Landespolizeiliche Abnahme der verlängerten Strecke

1908, 30. Juni                          Einweihung der Verlängerung der Kleinbahnlinie bis Thurow

1926, 29. Juli                           Eröffnung der „Lauenburgischen Schaalseeschifffahrt“ mit einer Anbindung an die Ratzeburger Kleinbahn

1928/29                                    Einrichtung einer Omnibuslinie zwischen Bahnhof und Stadt

1930, 1. Oktober                     Beschluss des Aufsichtsrates, die Bahn stillzulegen

1933, 8. Oktober                    Ruhen des Personenverkehrs

1934, 1. Februar                     Genehmigung der Stilllegung

1934, 1. April                          Einstellung des Güterverkehrs

 

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