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16.10.2017

Sondergipfel des »EU-Rates« fand in Ratzeburg statt

Der europäische Umgang mit der Flüchtlingssituation als Planspiel

Ratzeburg (tbi). Außengrenzen verstärkt sichern? Mehr europäische Solidarität für Italien und Griechenland? Wie stellt sich die Europäische Union künftig auf, um mit dem Zustrom von Flüchtlingen umzugehen? Fragen, denen sich die Teilnehmer eines ambitionierten Rollenspiels am Sonnabend in den Räumen der Volkshochschule (VHS) freiwillig und neugierig aussetzten. Die VHS hatte mit dem Verein Miteinander leben e:V. kooperiert und das für die Teilnehmer kostenlose Seminar wurde durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ im Rahmen der „Partnerschaft für Demokratie der Stadt Ratzeburg und des Amtes Lauenburgische Seen“ gefördert.

Bürgermeister Rainer Voß ließ es sich trotz terminlicher Enge nicht nehmen, die „Gipfelteilnehmer“ und Seminarleiter Kreft persönlich zu begrüßen und an der einstündigen Themeneinführung durch den ausgewiesenen Experten für Europapolitik Enrico Kreft teilzunehmen. In den zugeteilten Rollen von Regierungschefs, Innenministern, Ratspräsident und Kommissionspräsidentin konnte sich an Hand eines Fakten- und Positionspapieres in die jeweilige Rolle eingearbeitet werden, um die oft streitbaren Ansätze zur künftigen Ausrichtung Europas vertreten zu können. Die größte Herausforderung war dabei, dass der Rat Beschlüsse nur einstimmig treffen kann. Während einige „Regierungschefs“ die humanitäre Ausrichtung Europas und die Minderung des Elends der Flüchtlinge in den Vordergrund stellten – im Rollenspiel waren das hauptsächlich Italien, Griechenland, Frankreich, die sich für einen europäischen Verteilungsschlüssel einsetzten, - ging es bei anderen Ländern um Obergrenzen und die Sicherung der Außengrenzen. Dafür machten sich Ungarn, Finnland und Polen stark.

Bei dem Rollenspiel kristallisierte sich schnell heraus, dass es keine schnelle und zufriedenstellende Lösung für alle beteiligten Interessen in Europa geben kann. Vielen „Mitspielern“, die zum Teil selbst einen Migrationshintergrund haben, machte es sichtlich Freude, nicht nur nach konstruktiven Lösungsansätzen zu suchen, sondern auch zu europapolitischen Rundumschlägen auszuholen. Dank der Moderation des „Ratspräsidenten“ und den Mehrheitswünschen konnte sich zumindest auf die Diskussion über den Teilaspekt Sicherung der Außengrenzen durch die Stärkung von FRONTEX geeinigt werden. In „multilateralen“ Gesprächsgruppen und Dank Überweisung von Teilaspekten an Gremien der Finanz- und Innenminister gelang ein schwacher Kompromiss, der keinen Verteilungsschlüssel mehr vorsah und die Grenzsicherung verstärken soll. FRONTEX solle künftig auch Flüchtlinge zurückweisen dürfen und Aufnahmezentren in Drittländern aufgebaut werden. Die Aufnahmequote war vorerst vom Tisch und finanzielle Regelungen zur Grenzsicherung sollten - als „solidarische europäische Arbeitsteilung“ betitelt – von Fachleuten durchgerechnet werden.

„Mit diesem Kompromiss hätten wir de facto Europa abgeschottet“, resümierte Teilnehmer Mark Sauer („Ungarn“) die mühsam erarbeitete Kompromisslösung. Nach der gut sechsstündigen Simulation war allen Teilnehmern klar, welche Schwierigkeiten es im EU-Rat geben kann, wenn es um einstimmige Beschlüsse geht. Gestärkt wurden die Gipfelteilnehmer durch ein gemeinsames Mittagessen mit Spezialitäten aus der syrischen Küche. Enrico Kreft hat viel Erfahrung mit Simulationen und Rollenspielen und bestätigte den Eindruck der „Politiker auf Zeit“, dass in kleineren Einheiten und Gruppengesprächen „einfacher zu einem Ergebnis gekommen wird“.

Autor/in: Thomas Biller (erschienen im MARKT Ratzeburg / Mölln)